Medizinisches Training im BÄRENWALD Müritz
Bald geht es wieder los.
Unsere Bären sind wieder zurück aus ihrer Winterruhe und verbringen die länger werdenden Tage mit Grasen, Baden und Spielen.
Für einige unserer Bären gibt es aber noch einen besonderen Punkt auf ihrer Tagesliste - Medical Training.
Medizinisches Training versus Zirkustricks
Das Thema "Bärentraining" ist in einem Bärenschutzzentrum wie dem BÄRENWALD Müritz sehr wichtig, aber nicht konfliktfrei, sagt Bärentrainer und Tierpfleger Raphaël. Er ist hauptverantwortlich für das Entwerfen und Durchführen der Trainingseinheiten.
"Wenn Menschen hören, dass wir unsere Bären trainieren, denken sie sofort an Zirkustricks. Das ist es natürlich nicht! Es geht vielmehr darum, den Bären Stress beim Besuch des Tierarztes zu nehmen - wenn der Bär zum Beispiel das Maul auf Kommando öffnen kann, wird keine Narkose gebraucht, um den Stand der Zähne zu prüfen und der Bär kennt die Situation schon."
Von diesem Training können besonders stressanfällige Bären profitieren.
Es bietet den Bären nicht nur Abwechslung und Beschäftigung, sondern es erleichtert ihnen langfristig den Umgang mit potenziell stressvollen Situationen.
Luna und Rocco hatten beide schwere Vergangenheiten und zeigen aufgrund dessen stressbedingte Verhaltensauffälligkeiten. Das Training bietet ihnen ein positive Erfahrung, die ihr Selbstbewusstsein stärkt und sie an ungewohnte Dinge heranführt.
Für unsere Bären ist das Training besonders wichtig, um Narkosen zu vermeiden.
"Gerade bei älteren Tieren sind Narkosen und medizinische Prozeduren mit einem hohen Risiko verbunden. Sie haben aber auch häufiger Probleme, die von einem Tierarzt untersucht werden müssen."
Zirkustricks werden den Bären dabei nicht beigebracht. Die Bären im BÄRENWALD sind hier, um ihre natürlichen Instinkte wieder zu entdecken und ein artgemäßes Leben zu führen. Dabei steht immer das Wohl der Bären im Vordergrund. Zusätzlich ist es uns besonders wichtig zu vermitteln, dass Bären, und allgemein Wildtiere, keine Haustiere oder Unterhaltungsobjekte sind. Wir wollen unsere Bären so respektvoll wie möglich behandeln, und unseren Besuchern dieses Verhalten vorleben.
Spielen, lernen und Bär sein - so lernen die Bären, ihre vom Menschen geprägte Vergangenheit zu überwinden und ihre natürlichen Instinkte wiederzuentdecken.
Was lernen die Bären?
Die Verhaltensweisen, die den Bären beigebracht werden, basieren alle auf medizinischen Untersuchungen sowie anderen notwendigen Prozeduren.
Alle Bären fangen grundsätzlich mit Vertrauensaufbau und dem sogenannten "Target Training" an. Dabei lernt der Bär, ein bestimmtes Objekt mit der Nase zu berühren. Dieses Verhalten kann später genutzt werden, um dem Bären andere Übungen zu erleichtern und Hilfestellungen zu geben.
Als nächstes lernt ein Bär in den meisten Fällen, das Maul auf Kommando zu öffnen und das freiwillige Betreten einer Waage. Dies ist besonders wichtig, da das Gewicht von Braunbären übers Jahr stark fluktuiert. Mit dem genauen Gewicht können Medikamente oder Narkosemittel präzise angewendet werden, was für eine bessere Gesamtgesundheit der Bären und weniger Komplikationsrisiko sorgt.
Weitere Übungen werden dann abhängig von Bär oder Situation entschieden - zum Beispiel das freiwillige Betreten einer Transportbox, das Pfote geben oder das Zeigen bestimmter Körperteile, wenn zum Beispiel OP-Narben beobachtet werden sollen.
Das Untersuchen der Bären ist einfacher und stressfreier, wenn diese gelernt haben, unzugängliche Körperteile wie zum Beispiel ihren Bauch zu zeigen. Hier demonstriert Dushi, wie das aussehen könnte.
Das Training
Das Training startet dabei immer gleich:
Der Bär wird bei seinem Namen in eins der Bärenhäuser gerufen und erhält ein Stück Obst.
Die Bären im BÄRENWALD haben eine sehr positive Einstellung gegenüber ihren Tierpflegern - und zu leckerem Obst sagen sie auch sehr selten nein. Aber wenn der Bär an dem Tag nicht erscheint, ist das auch okay, dann wird das Training auf einen anderen Tag verschoben. Erzwungen wird hier nämlich nichts, und ausschließlich die aktive Mitarbeit des Bären führt zu einem positiven Erlebnis für alle Beteiligten.
"Es ist besonders wichtig, die Bären so vorzubereiten, dass sie nichts außer erfolgreich sein können. Wir machen das hier nicht um zu beweisen, dass wir es können, sondern um den Bären zu helfen."
Die Trainingseinheiten sind deshalb auch nur fünf bis zehn Minuten lang, um zu vermeiden, dass ein Bär das Interesse verliert - so bleibt das Training immer eine spannende Abwechslung, an dem die Bären gerne teilnehmen.
Während des Trainings wird das gewünschte Verhalten in kleine Schritte heruntergebrochen, damit der Bär langsam an eine neue Aufgabe herangeführt werden kann.
Das Betreten einer Waage würde demnach mit dem Beschnuppern eines "Waagen"-großen Pappstück beginnen. Zeigt der Bär Interesse oder betritt die Pappe sogar, wird mit einem Klick-Geräusch das gewünschte Verhalten belohnt und dann mit einem Stück Obst gefestigt. So weiß der Bär genau, was er richtig gemacht hat. Das Belohnen wird dabei immer präziser, bis der Bär irgendwann mit allen vier Pfoten auf der Pappe stehen muss, um den Klick und das Stück Obst zu bekommen. Später wird eine selbstgebaute Nachbildung einer Waage verwendet, und auch das Ignorieren der Stromkabel, die die Waage betreiben, muss geübt werden.
Dieser Vorgang kann mehrere Wochen oder sogar Monate dauern, aber führt im Endeffekt dazu, dass dem Bären viel physischer Stress erspart werden kann, wenn er gewogen werden muss.
Das Training sollte dabei immer auf einer positiven Note enden. So ist der Bär motiviert, auch beim nächsten Mal wieder beim Training mitzumachen.
Bär Rocco ist sehr interessiert an der Pflaume, und öffnet für Tierpfleger Raphaël im Gegenzug sein Maul. Dies hilft bei der Kontrolle der Zähne. Das Handkommando zeigt ihm, was von ihm erwartet wird.
Nach dem Training ist vor dem Training
Später füllt Raphaël ein Trainingsprotokoll aus. Dies ermöglicht den Tierpflegern, Verhaltensauffälligkeiten über die Zeit zu vergleichen und Fortschritte zu erkennen. Was funktioniert gut, was vielleicht nicht so gut, welches Obst findet der Bär besonders toll - all diese Informationen ermöglichen den Pflegern, das Training individuell auf die Bedürfnisse und Ansprüche der einzelnen Bären anzupassen.
Gerade am Anfang nimmt dies viel Zeit in Anspruch. Aber es lohnt sich:
"Beim Vergleichen der Trainingseinheiten mit Rocco ist mir zum Beispiel irgendwann aufgefallen, dass wir häufig abbrechen mussten, weil er sich von Kindern ablenken ließ. Nachdem wir den Trainingsort an einen anderen Punkt im Gehege verlegt hatten, war er sehr viel konzentrierter. Deswegen ist es so wichtig, diese Trainingsprotokolle ernst zu nehmen."
Das Bärentraining ist dabei nichts, was in der Tierpflegerausbildung oder im Studium vermittelt wird. Tiertrainer Raphaël lernte das Trainieren von Wildtieren von erfahrenen Tierärzten und Tierpflegern. Bevor er aber selbst anfangen durfte, die Wildkatzen und Raubvögel der damaligen Auffangstation zu trainieren, musste er beweisen, dass er mit einem Huhn umgehen konnte - nicht so einfach, wie es klingt, und eine gute Geduldsprobe.
Den Rest hat er sich durch Ausprobieren und Beobachten selbst beigebracht.
"Jeder Bär ist unterschiedlich und was bei dem einen funktioniert, funktioniert nicht zwingend bei dem anderen. Das ist bei allen Tieren so, aber bei Wildtieren besonders. Das macht die Aufgabe aber so spannend und belohnend - Erfolge bedeuten, dass wir den Bären in Zukunft Stress ersparen können, und das ist am wichtigsten!"
Bären sind intelligente Lebewesen und verstehen bei gutem Training schnell, was von ihnen erwartet wird.